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Betrifft: Interview mit Claudio Landolt, dem Autor von «Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg».
Claudio Landolt hat dem Glarner Vorderglärnisch das Buch «Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg» gewidmet. Im Gespräch erzählt er von seinen Fieldrecordings auf dem Berg, vom Entstehen der Texte und davon, ob es ihm eher beim Schreiben oder auf dem Berg schwindelt.
«Wir würden über den Ursprung wandern», so beschreibst du den Aufstieg auf den Vorderglärnisch. Wo liegt der Ursprung deiner Faszination für diesen Berg?
Die Silhouette des Vorderglärnisch hat mich schon immer an einen Triangel erinnert. Irgendwann begann ich mich praktizierend für experimentelle Musik und Fieldrecordings zu interessieren und nahm mir für meine Masterarbeit in Kulturpublizistik (an der ZHDK) vor, diesen Berg akustisch zu vermessen. Die Texte waren damals eigentlich nur ein Nebenzimmer. Eine Art Ausgleich oder Annexbau zur Tonwelt, die mir diese Recherche eröffnete. Als ich meinem sechsjährigen Sohn sagte, ich wolle den grossen Chlotz da aufnehmen, entgegnete er mir: «Der tönt doch nicht.» Da ich als (ausgewanderter und wieder zurückgekehrter Glarner) zudem noch nie auf dem Vorderglärnisch war, wurde diese Auseinandersetzung mit dem Berg auch zu einem Versöhnungsversuch mit einem Ort, der mir mittlerweile fremd war.
Wie muss man sich dein Schreiben vorstellen: auf Wanderung mit Blöckli auf dem Bänkli oder hinterher in der Schreibstube, in Erinnerungen den Berg noch einmal hochsteigend?
Beides. Aber leider nicht romantisch mit Blöckli, sondern mit dem Smartphone. Ich führe ein ewig langes Notizbuch, aus dem vor allem die nun vorliegenden prosaischen Miniaturen stammen. Bilder, die sich mir während der Klangrecherche einbrannten und die danach in der Schreibstube wieder gelesen und wieder aufgenommen und teilweise durch ganz viele Nachbearbeitungsschritte gingen. Ausschliesslich in der Schreibstube entstanden hingegen die Cut-up-Gedichte, die experimentellen Aneignungen von alten geologischen Schriften über den Vorderglärnisch.
Begleitend zu deinem Buch hast du eine Klangcollage gemacht, die aus verschiedenen Klangdimensionen besteht – etwa dem hörbar gemachten Klang des Vorderglärnisch, Stimmen und verschiedene Schwingungen. Wie bist du vorgegangen?
Wie erwähnt, die Klangcollage war eigentlich zuerst. Die Texte wurden aus dem Ton geboren – und ich glaube das hört man ihnen an. Von März bis Ende Oktober 2019 unternahm ich 36 Aufnahmereisen an den Berg. Das begann mal mit konventionellen Luftschallmikrofonen. Dann begann ich auch mit selbstgelöteten Piezomikrofonen und Kontaktmikrofonen Objekte am Berg abzutasten und aufzunehmen. Felswände, Baumstrünke, Seilbahnen usw. Irgendwann begann ich auch mit Geophonen zu experimentieren und traf auf den Geophysiker Jeff Moore an der ETH Zürich. Er fand meine Idee, den Berg als Klangkörper zu erfassen, dermassen verrückt und spannend, dass er beim Schweizer Erdbebendienst zwei Breitbandseismografen auslieh, um am Vorderglärnisch über mehrere Stunden die Bewegung des Bergs einzufangen. Diese Daten verwandelten wir später am Computer in Audio, indem wir sie um ein Vielfaches schneller abspielten (Audifikation). Mein Vorgehen war dabei immer getrieben von der Idee und der Lust, Dinge einfach auszuprobieren, nicht unbedingt von einer wissenschaftlichen Systematik. Die Aufnahmesessions am Berg waren meditative Drifts, Annäherungen an die verschiedenen Klangsphären und Aggregatszustände dieses Objekts.
«Der zweite Kopf wuchtig befichtet / ein weisses Auge auf der steilen Stirn / zerfurcht verrunzelt Kinn und Hals / die Nase muss darunter sein» – Worin besteht für dich die Faszination des «menschliche Züge in einen unbelebten Berg»-Lesens?
Das Anthropomorphe hat mich immer fasziniert. Der Glaube daran, dass alles um uns lebt und beseelt ist. Sei dies nun ein Tisch, ein Heizkörper oder ein Berg. Gerade in Zusammenhang mit Kontaktmikrofonen ist das auch spannend, da man damit Objekte zum Tönen bringen kann, die scheinbar gar nicht tönen. Die zitierte Stelle stammt aus dem Gedicht «Farbtafel» – mehr oder weniger das einzige Gedicht im ganzen Buch, das sich über das Visuelle aufbaut. Ich fand einfach, dass mindestens ein visueller Annährungsversuch da reingehört, wenn ich mich sonst so fest dem Ton verschreibe. Das mit den «menschlichen Zügen in Dingen»-Lesen hat natürlich auch Grenzen und kippt sehr schnell in Kitsch – mir war von Anfang an klar, dass ich damit so spärlich wie möglich umgehen möchte.
Hast du ein Foto von der konkreten hier beschriebenen Bergpartie?
Leider habe ich keinen spezifischen Ausschnitt davon. Aber ich schicke dir ein Bild, das den Berg aus der Gleichen Perspektive zeigt, aus der das Gedicht geschrieben wurde. So könnten sich eure Leserinnen bei Interesse auf die Suche machen nach dem zweiten, wuchtig befichteten Kopf.
Du beschreibst den «Gleiterbach» in einer sechsseitigen Serie von Texttafeln, die ausschliesslich aus «SCHHHHH», «sucheoioi» oder «HCHHCH» etc. besteht. Wie ist dieses Werk entstanden?
Das war eines meiner ersten Gedichte. Ein Text in der Tradition der Lautpoesie. Ich stellte mir ein Hydrophon (Unterwassermikrofon) vor, das den Gleiterbach hinuntergespült wird und übersetzte die dabei aufgenommenen Klänge in einen Text, der wiederum performatives Potenzial hat. Ich wollte schon ziemlich früh mit dem Berg auf Bühnentour.
Warum steht deine Telefonnummer im Buch?
Weil ich nicht eine Fake-Nummer in ein Gedicht verbauen wollte. Und weil sich das ganze Werk immer wieder um verschiedene Arten von Kontaktaufnahmen dreht. Das passiert heute nun mal übers Handy. Und Drittens, weil ich gespannt bin, ob mal jemand anruft.
Und? Klingelt dein Telefon?
Du bist glaub’s der erste, der das mit der Handynummer rausgefunden hat.
Wann wird es dir eher schwindlig: auf einem Berggrat oder vor einem weissen Blatt Papier?
Ich bin grundsätzlich nicht so der Schwindeltyp. Das Blatt Papier schreib ich dann einfach schnellstmöglich voll und beim Berggrat schaue ich nicht nach unten. Aber wenn ich wählen muss, wohl eher auf dem exponierten Berggrat, die Fallhöhe ist da doch oft dramatischer.
Kannst du als Bergfreak die Angst der Flachländer vor den Bergen verstehen?
Die Frage verstehe ich nicht ganz. Beziehungsweise kenne ich niemanden, der mir gegenüber äusserte, Angst vor den Bergen zu haben. Leute aus dem Flachland tendieren eher zu Aussagen wie: «Hier könnte ich nicht leben, das Tal ist zu eng.» Das kann ich nachvollziehen. Das ist mit ein Grund, weshalb es mich auf die Berge zieht.
Was hat es mit dem Alphornquartett auf sich, das du auf den Berg gebracht hast?
Das Alphornquartett Tödifirn lieferte die einzige Instrumentalaufnahme, die ich am Berg gemacht habe. Alle anderen Aufnahmen sind natürliche Geräuschaufnahmen. Das Alphornquartett gehört zum Vorderglärnisch. Diese Gruppe übt wöchentlich am Fuss des Glärnischs für ihre Auftritte, nicht weit von dort, wo ich wohne und wo mein Atelier steht. Deshalb war es für mich klar, dass ich mit ihnen etwas aufnehmen will. Da ich aber nie an Idyllen oder Naturtonleitern oder allzu musikalischen Herangehensweisen interessiert war, liess ich die Alphorngruppe nur den tiefstmöglichen Ton spielen. Ich stellte sie vor eine Wand (beim Ursprung) und mikrofonierte die Wand mit Kontaktmikrofonen. So nahm ich indirekt auf, was die Steine hören.
Du bist Musiker und hast ein eigenes Label – wo spielst du, und wo kann man deine Musik hören?
Im Moment beschränkt sich meine musikalische Tätigkeit auf die Band Kotzfrucht, ein Nebenprojekt der Band Captain Moustache & Fredo Ignazio. Mit Kotzfrucht singen wir zurzeit Kochrezepte aus den 70er-Jahren auf tanzbarem Elektropunkbett. Wir spielten soeben in Zürich, die Herbstkonzerte sind erst wieder am Anrollen, aber leider noch nicht konkret zugesagt. Auf unserem Vinyllabel (www.pommeschips.ch) haben wir in den letzten 10 Jahren über 15 Vinyl-Releases veröffentlicht, alle Covers handgedruckt und handverklebt. Vor allem das neue Kotzfrucht-Album empfehle ich anzuhören und abzuchecken. Nicht nur wegen dem Inhalt, sondern wegen der einzigartigen Form der Verpackung.
Lesungen:
14. August 2021: Tonbandlesung und Gespräch im Bsinti / Braunwald
28. Oktober 2021: Tonbandlesung im Literaturhaus Zentralschweiz / Stans
5. November 2021: Tonbandlesung am Festival BergBuchBrig / Brig
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