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Rab

«Rab hielt sich über Wasser, indem er notierte. Er machte aus dem, was er nicht leben konnte, etwas Bedenkenswertes und legte es zu den Akten.»

Der Roman «Rab» schildert die existentielle Krise des gleichnamigen Protagonisten, der in der notorischen Hälfte des Lebens angekommen ist. Würde der Begriff nicht dem im Text kritisierten ärztlichen Jargon entstammen, dann liesse sich vielleicht von der Geschichte eines Burnouts sprechen. Rab weiss weder ein noch aus, weshalb er nur noch weg und fort will. Im Zwiespalt mit sich selbst, seinem bisherigen Dasein und seiner Beziehung mit Marlis zieht er sich auf die Insel Capri zurück, wo er im «Verbleiben eines freien Notierers» einen «Trotzwinter» verbringt. Als gleichermassen abschweifender wie erfindungsreicher «Schattenanalytiker» versucht er sich über seinen Seelenzustand notierend selbst zu klar zu werden und gelangt dabei zur Erkenntnis, dass er das Leben allzu lange verschlafen habe und dabei sein alter Ego, das er im Innersten zu sein glaubte oder doch zu werden hoffte, verkümmern liess. Im allegorischen Schlussbild des Romans gelangt diese Dialektik des «ungelebten Lebens» auf eine drastische Pointe: Rab stirbt an einem Tumor, der sich als Gewebe des unausgewachsenen Zwillingsbruders herausstellt, den er seit der Geburt mit sich im Leib trug.
Was in der gerafften Nacherzählung eher düster und dramatisch klingt, wird im Roman aber durch eine Verschmelzung von Tragik und Komik vermittelt, wie sie allen zutiefst humoristischen Werken eigen ist. «Rab» ist somit alles andere als ein trübseliger Roman, im Gegenteil besticht er durch sprachlichen Witz, satirisch-sarkastische Darstellung und einer gehörigen Portion Selbstironie, die nicht zuletzt auch Rabs hochelaborierte Jeremiaden zu einer vergnüglichen Lektüre machen. Auf dem selbstgewählten Exil in Capri, einer poetologischen Schlüsselstelle des Romans, geht Rab dem tieferen Zusammenhang von der «Trauer als Voraussetzung für Humor» zudem eigens nach: am Beispiel von Charlie Chaplin, des grossen Melancholikers unter den Komödianten. In Form eines fingierten Briefwechsel mit Chaplin lotet der Text das biographische Schicksal aus, das eine Figur wie diejenige des traurigen Clowns hervorbrachte. Selbstredend stellt sich auch Rab in diese Tradition, der ebenso grotesk wie witzig und mit einer schier überbordenden Fabulierungsfreude sein Elend zu bannen versucht.

Mit «Rab» hatte der damals 45jährige Kulturjournalist Dieter Bachmann ein fulminantes Prosadebut geschaffen, das mühelos das Zeug zum Kultbuch besitzt. Leider verfehlte es trotz hervorragenden Rezensionen die Gunst der Stunde, weshalb es eine zweite Chance mehr als nur verdient hätte. Betrat da doch einer dieser verzweifelt komischen Figuren die literarische Bühne, der sich ohne Weiteres in die Reihe der grossen Antihelden wie Musils Mann ohne Eigenschaften, Svevos Zeno Cosini oder eben Chaplins Tramp stellen kann. Wie diesen, so geht es auch Rab darum, das Scheitern als «humane Qualität» kenntlich zu machen. Darin erblickt er nicht zuletzt auch das grosse Potential der Literatur, dem selbst die gesamte Humanmedizin nicht beikommen kann. Denn wie Rab weiss: «Die Medizin ist kein exakte Wissenschaft so gern sie es sein möchte; ihr Gegenstand, der Mensch, ist dafür zu wenig zuverlässig.»

(Magnus Wieland)

Ammann Verlag, Zürich 1985

ISBN: 3-250-10036-6

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