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Politisch brisant, gesellschaftlich relevant, von greller Dramatik. All dies sind die "Erinnerungen eines Insektenforschers" von Jean-Henri Fabre (1823-1915) mit Sicherheit nicht. Der französische Forscher, ein Pionier der Verhaltensforschung, zielt ins Kleine, Unscheinbare. Mit dem mikroskopischen Auge des Feldforschers entdeckt und beschreibt er eine Welt, die sich unserem Blick weitgehend verschliesst, nicht weil wir nicht sehen könnten, sondern weil uns die Geduld und die Erfahrung dafür fehlen.
Fabre ist ein genauer Beobachter, und er ist obendrein ein ausgeprägter Stilist, der seine Forschungen mit luzider Präzision zu formulieren weiss. 1912 wurde er sogar für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Dies macht seine "Erinnerungen" lesenswert und reizvoll. Dabei erweist sich Fabre nicht als kühler Positivist, sondern als ein sanfter Beobachter, der mit hoher Empathie und Sensibilität berichtet und in sein immenses Wissen über Insekten stets auch dessen Grenzen, das Nicht-Weiter-Wissen mit einschliesst. Vieles bleibt selbst ihm und seinem mikroskopischen Blick verborgen - was ihn aber nicht weiter stört.
Zeitlebends verhielt sich Fabre allen Theorien gegenüber höchst reserviert. Es gab für ihn Höheres bei der Beobachtung von Insekten: "das genaue, liebevolle Studium ihres Lebens, das Untersuchen ihres Organismus und mehr noch ihrer Fähigkeiten." Nur so lässt sich ihr Leben ergründen. Er war fasziniert von der Erfindungskraft der Natur, entsprechend setzte er höchstes Vertrauen in die Schöpfung, die alles aufs Beste eingerichtet hat und keinerlei akademische Belehrung benötigt. Präzis legt er dar, was die Knotenwespe intuitiv alles weiss, wenn sie ihre Beute sucht und lähmt, um mit Witz anzufügen, dass für eine solche Glanzleistung die Kompetenz einer "Akademie von Anatomen und Physiologen" notwendig wäre.
Den ersten seiner zehn Erinnerungsbände, der vornehmlich von Pillendrehern und Wespen handelt, hat Fabre im Nachwort seinem bereits mit 16 Jahren verstorbenen Sohn gewidmet. Immer wieder bringt er sich selbst mit ins Spiel. Das Gedenken an Orte und Umstände seiner Forschungen begleitet die Aufzeichnungen. Manchmal macht es fast den Anschein, dass Fabre nicht bloss sachlich beobachtet, sondern leidenschaftlich ins Innere von biologischen Organismen eindringt und so zu gewagten Vergleichen gelangt: "Die Augen einiger Bremsen, prachtvoll golden und mit drei purpurroten Streifen, werden schnell matt und trübe wie die eines sterbenden Menschen."
Fabre will die Verhaltenslogik und -ökonomie des Pillendrehers oder der Knotenwespe von Grund auf verstehen. So verleiht er seinen Beobachtungen zugleich einen erzählerischen Rahmen, der entfernt auch politische und ökologische Dimensionen anklingen lässt. In Fabres Beobachtungen drückt sich ein Weltbild aus, das - vielleicht unmodern - dem Respekt vor der Schöpfung höchste Priorität einräumt.
(Beat Mazenauer)
Matthes & Seitz, 2009 1970