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«Trotz alledem ist dies ein Liebesgedicht Weil nichts in mir Das alles nicht wollte»
Die hohe Kunst des Liebesgedichts besteht heutzutage darin, den Vorbildern zu entkommen, ohne sie zu ignorieren. Die Lücke dazwischen ist schmal, doch es gibt sie, wie Nora Gomringer in ihrem neuen Gedichtband demonstriert. Auf diesem Feld emotionaler wie poetischer Spannung findet sie immer wieder überraschende Worte und Wendungen für bekannte Gefühle. In "My Husband for a Night" beispielsweise feiert sie mit schnellen Worten die aufwühlende Liebesnacht, die ohne Folgen geblieben ist. Und auch ohne Antwort auf die zahlreichen SMS, dafür "unerwartet poetisch im Abgang: / inniglich tippt sich honiglich mit / Worterkennung –"
Mit der Liebe korrespondiert in diesem Band das Reisen. In der Widmung deutet die Autorin an, dass sie viel unterwegs gewesen ist. In alle Richtungen. Darauf beziehen sich die "Nachrichten aus der Luft", aus all den Lüften, die mit und in diesen Gedichten wehen. Das längste ist 2008 in Nowosibirsk entstanden, über "Dinge ohne Ereignis", die am Ende Fragezeichen hinterlassen. "Buchstabier-staunend" wandert das poetische Ich durch die kyrillische Schriftwelt, "die mir meine Konzentration abverlangt" und so sprachlichen Widerstand leistet; dies obgleich – wie ein Viktor erzählt – die russische Sprache "durch und durch verletzt" sei. Nora Gomringer zieht hier alle Register: prosaische Aufzeichnungen wechseln sich ab mit schnellenden Aufzählungen und genauen Beobachtungen auf der Strasse. Und wenn's sein muss, verschmäht sie auch den feinen Kalauer nicht, wie im Gedicht "Kapitulation : Kapiert": "Als nichts mehr ging / Ging ich."
Die Autorin liebt das Widerstrebende, das sich nicht in vorgestanzte Muster Einfügende. Um dies zu verdeutlichen, nutzt sie alle, auch typographische Mittel. Die einzelnen Gedichte sind in unterschiedlichen Schriften kreuz und quer über die Seiten verteilt abgedruckt. Abweichung und Widerstand wünscht sich Nora Gomringer generell für die Poesie. Die Schreibenden vermehren sich – ungehindert, heisst es im Gedicht "Fressfeinde der Autoren", das quer zur üblichen Leserichtung liegt, deshalb "wünsche ich mir / Einen Fressfeind statt einer weichen Nische / In der Existenz."
Eine Audio-CD liegt diesem Buch bei, worauf die Autorin mit präziser Diktion ihren Gedichten zusätzliche Emphase verleiht. Das ist zwar nicht ungefährlich, weil persönliche Lektüren so entwertet werden könnten, doch Nora Gomringer ist eine grossartige Interpretin ihrer eigenen Poesie. (Beat Mazenauer)
Voland & Quist, Dresden 2010
ISBN: 978-3-938424-53-7