„Null Öl- Null Gas. Null Kohle“ überschreibt der Wissenschaftsjournalist und Klimaaktivist Marcel Hänggi sein Buch, mit dem er bereits 2018 auf ein damals kaum denkbares Szenario anspielte. Es ging ihm freilich um etwas ganz anderes: Wer den Ausstoss an CO2 stoppen will, muss in naher Zukunft diese Nulllösung für fossile Brennstoffe anpeilen. Vier Jahre später wird dieses Szenario auf einmal auch politisch denkbar, aus der Notlage heraus. Was tun, wenn die Lieferung von Öl und Gas versiegt? Und könnte das nicht auch eine Chance sein?
Marcel Hänggi kennt die Lösung: dreimal Null. Er weiss allerdings auch, dass was so einfach klingt, voller Tücken steckt. In seinem gut lesbaren, sorgfältigen Buch faltet er die Grundlagen der Klimaproblematik aus, anschliessend die möglichen Strategien für eine Reduktion der CO2 Emissionen, schliesslich seinen eigenen Vorschlag, die inzwischen lancierte Gletscherinitiative. So dezidiert seine Haltung ist, so kritisch weiss er die Argumente abzuwägen. Er bedenkt mit, wo die Politik stockt, warum die Wirtschaft griffige Lösungen ablehnt, wieso das Ideal blosses Papier bleiben muss. Unmissverständlich ist er in seiner Kritik an der liberal-kapitalistischen Wachstumslogik, die vor dem Klimawandel zwangsläufig versagen muss – oder den Kollaps in Kauf nimmt. Die Wirtschaft misstraut dem Gemeinwohl der Allmende grundsätzlich, weil die ökonomische Doktrin im Eigennutz besteht, entsprechend ist das Menschenbild, das uns eingebläut wird. Hänggi glaubt indes, dass die Allmende und die bessere, gerechtere Verteilung von Macht und Ressourcen in der Verantwortung vieler zum Wohle aller. Vehement wendet er sich gegen das landläufige Verständnis, dass „wirtschaftlich“, wie es etwa im Schweizer Energiegesetz steht, mit „billig“ identisch sei. Wirtschaftlich sei vielmehr eine Balance mit Blick auf die Zukunft.
Marcel Hänggi diskutiert konkret und anschaulich auch die Inhalte und Effekte der verschiedenen Klimaabkommen sowie die Chancen und Tücken der möglichen Lösungswege. Vorab den gerne propagierten Kompensationsgeschäften steht er sehr skeptisch gegenüber, weil sie, wie auch die Hoffnung in den technischen Fortschritt, „Rebounds“ erzeugten, die letztlich nur neuen CO2-Ausstoss erzeugten.
Immer wieder findet Hänggi auch schöne Bilder für die komplexe Materie. So staunt er darüber, wie angegurtete Autofahrer als Sinnbild der Freiheit der Mobilität gelten. Besonders anschaulich ist das Bild eines Kindergeburtstags, an der sich 10 Kinder über die Torte hermachen, jedes für einen Zehntel der Pro-Kopf-Emissionen stehend. „Das erste Kind kommt und nimmt sich den halben Kuchen. Das zweite Kind nimmt sich etwas mehr als die Hälfte vom Rest … das letzte liest die Brosamen unter dem Tisch auf“. An dieser Verteilung ändert sich nichts, wenn die Torte grösser wird, dämpft Hänggi die Erwartungen in den technischen Fortschritt. Die Krümel bleiben kümmerlich.
„Aber immerhin“, heisst es mehrfach – als Formel für den skeptischen Optimismus, der Hänggi antreibt.
(Beat Mazenauer)
Der Link zur Gletscherinitiative
Rotpunktverlag, Zürich 2018
ISBN: 978-3-85869-776-9