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Sandra Künzi

Wahlkampf mit «88»

Kommentar Die Berner Autorin und Slampoetin Stefanie Grob hat mit ihrer satirischen Kolumne Zytlupe auf SRF 1 den Vogel abgeschossen oder besser gesagt ins Parteinest der SVP gestochen

Seit über dreissig Jahren erklingt in der Schweiz am Samstag Mittag traditionellerweise die politisch-satirische Sendung Zytlupe auf SRF 1. Neben sechs anderen schreibt auch die Berner Autorin und Slampoetin Stefanie Grob für dieses Gefäss. In ihrem aktuellsten Beitrag vom 19. September 2015 nahm sie nicht nur die Pläne zur neuen Schweizer Hymne aufs Korn, sondern sie fragte auch, wie es sein kann, dass ein amtierender Bundesrat im wahlkämpferischen Parteivideo mit Nazisymbolen tanzt. Konkret geht es um eine junge Frau, die ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Bronx 88» trägt und vor Herrn Maurer, Herrn Blocher und anderen SVP-Heroes herumtänzelt. Vielleicht sind Sie so naiv, wie ich es bis vor kurzem war, und erkennen darin nichts Verwerfliches. Wenn man aber weiss, dass in der Neonazi-Szene die Zahl 88 für «Heil Hitler» steht, dann sieht es anders aus. «H» ist der achte Buchstabe im Alphabet und 88 ist einer der bekanntesten Zahlencodes unter Rechtsextremen. Auf diesen Umstand hat Stefanie Grob in ihrer Zytlupe aufmerksam gemacht und dann ging es ab: Bis heute wurden sechs Beschwerden bei der Ombudsstelle von SRF deponiert – so viele Klagen haben bisher nur wenige Zytlupen geschafft – und es ergingen unzählige Hassmails an die Redaktion sowie an die Autorin, beispielsweise dieses hier:

«Sehr geehrte Frau Grob
Wegen Ihrem krankhaften Hass gegen alle Andersdenkenden sind Sie eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben in unserem Land. Gehen Sie doch bitte in psychiatrische Behandlung. Es wäre schade, wenn ein sogenannter Nazi, der gleich hasst wie Sie, Sie töten würde.
Mit freundlichem Gruss
M.W.»
(Name der Redaktion bekannt)

Viele Schreibende, Politikerinnen und Künstler erhalten verächtliche und drohende Mails. Nicht umsonst präsentieren deutsche JournalistInnen in ihrer wunderbaren antirassistischen Leseshow «Hate Poetry» Unglaublichkeiten aus dem Genre Leserbriefe. Aber das macht es nicht besser.

Der Beitrag von Stefanie Grob scheuchte sogar die Weltwoche auf (Nr. 39/2015). Sie wirft der Autorin vor, sie habe im gebührenfinanzierten Hauptsender zur besten Sendezeit ungebremst ihrem Hass gegen die SVP Ausdruck verliehen. Die «88» sei reiner Zufall, denn auf dem T-Shirt stehe ja auch noch «Bronx» und «Bronx Heil Hitler» funktioniere nicht. Es stimmt, «Bronx» steht eher fürs Gegenteil. Aber macht das kleine «Bronx» die grosse «88» harmloser? Wenn man die absolut professionelle, strategisch durchinszenierte und vermutlich sehr teure Werbung der SVP im Ganzen betrachtet, dann dürfte der SVP-Flirt mit rechtsextremen Symbolen kaum Zufall sein. Ausserdem sind alle anderen T-Shirts, die da noch rumtänzeln, farblich unauffällig und ohne Aufdruck. Nur das kontrastreiche «88» sticht gross heraus. Da kann man nur schwer an ein unbemerktes Zufällchen glauben.

Und schliesslich befand sich ja auch der ehemalige Justizminister Christoph Blocher auf dem fraglichen Videodreh. Es war sein Departement, das 2005 den parlamentarischen Auftrag fasste, eine Strafnorm gegen die Verwendung rassistischer Symbole auszuarbeiten. Herr Blocher trieb das Geschäft nicht unbedingt engagiert voran. Nach seiner überraschenden Abwahl Ende 2007 ging es vorwärts. Im Vorentwurf 2009 und auch im Abschreibungsantrag ans Parlament von 2010 wird die Zahl «88» wiederholt als Beispiel für einen bekannten rechtsextremen Code angeführt, beispielsweise so: «Im vorliegenden Fall ist eine klare Definition von rassistischen Symbolen nicht möglich. Dass die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammenden und bekannten Symbole wie das Hakenkreuz (auch seitenverkehrt) oder die Sigrunen, insbesondere die Doppelsigrune als Zeichen der SS, oder der Hitlergruss unter den Begriff ‘rassistische Symbole’ fallen, ist weitgehend unbestritten. Problematischer wird es aber, wenn Symbole für Gleichgesinnte eine Bedeutung haben, sich ihr Sinn aber Aussenstehenden verschliesst. In diesen Zusammenhang gehören z.B. folgende Zeichen: Zahlendarstellungen wie 88 für ‘Heil Hitler’ (8 steht für den 8. Buchstaben des Alphabets), 18 (Adolf Hitler), 14 (Synonym für die 14 Worte ‘We must secure the existence of our people and a future for white children’) usw. Der unbefangene Dritte weiss nicht, falls er diese Symbole überhaupt wahrnimmt, was diese bedeuten.»

Herr Blocher war und ist bezüglich der Bedeutung der Zahl «88» sicher kein unbefangener Dritter. Doch selbst wenn die umstrittene «88» reiner Zufall gewesen wäre, müsste sich die SVP diese Neonazi-Nummer anrechnen lassen, solange sie sich nicht klar davon distanziert. Aber bis vor kurzem hat sie dazu keine Stellung bezogen, ausser man würde den Weltwoche-Artikel als indirekte Stellungnahme sehen. Das meine ich keinesfalls satirisch, sondern mit Blick auf die journalistische Unabhängigkeit absolut ernst: Offiziell gehört die Weltwoche ihrem Herausgeber Roger Köppel und dieser kandidiert bekannterweise für den Nationalrat. Ich gehe daher als Leserin davon aus, dass die Beiträge in der Weltwoche der SVP-Parteilinie zu entsprechen haben. Alles andere wäre unlogisch. In derselben Weltwoche-Ausgabe 39/2015 durfte übrigens auch noch Christoph Mörgeli gegen Stefanie Grob und SRF sowie gegen die Schweizer Illustrierte und den Blick wettern.

Statt über die Medien zu jammern, sollte die SVP froh sein, dass bisher kein grösseres Schweizer Medium ihr Spiel mit Nazi-Codes ernsthaft thematisiert hat. So war sie bisher zu keiner Stellungnahme gezwungen. Erst im Bericht der Westschweizer Zeitung L'Hebdo vom 1. Oktober 2015 liess sich der Nationalrat und Videoclip-Verantwortliche Thomas Matter schal vernehmen: «Personne n'était au courant chez nous, pas même Christoph Mörgeli, pourtant historien.»

Wieso setzen sich die Schweizer Medien nicht ernsthafter mit dem «bizli Hitlersymbolik» im Wahlkampfvideo der SVP auseinander? Ist es wirklich nur ein Kavaliersdelikt? Kann ein Bundesrat «Heil Hitler»-Parolen unterstützen, ohne sich rechtfertigen oder entschuldigen zu müssen? Wieso soll man der faden Erklärung glauben, es hätte niemand um die Symbolik der Zahl «88» gewusst, wenn es doch gerade Herr Blocher und sein Department war, das sich intensiv mit derartigen Symbolen und ganz konkret mit der Bedeutung der Zahl «88» zu befassen hatte?

Schade, dass die SVP nicht zu ihrem Spiel mit rechtsextremen Symbolen steht – oder sich ganz klar und eindeutig davon distanziert! Und schade, dass sie nicht sagen will, wie teuer das Video war und wer es bezahlt hat.

Ich schliesse meinen Kommentar im Sinne der Transparenz mit folgenden Informationen:

• Ja, ich bin mit Stefanie Grob befreundet, aber ich gehöre ihr nicht!

• Ja, ich wähle die SP-Frauenliste, aber finde auch Rosemarie Quadranti von der BDP gut.

• Nein, Journal-B ist nicht gebührenfinanziert und hat auch keinen finanzstarken Sponsor mit politischen Ambitionen.

Ein Beitrag von Journal B. Zuletzt: Weiter geht es mit Günter Grass von Beat Sterchi.

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