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Betrifft: Ruth Gantert von «Viceversa Literatur» im Interview.
«viceversa literatur 16» widmet sich dem Thema «Wildwege». Welche wilden Wege begeht die schweizerische Literatur momentan?
Jedes Mal, wenn wir ein Thema festlegen, begegnet es mir danach auf Schritt und Tritt ... Simone Lappert veröffentlichte gerade ihre Gedichte unter dem Titel «Längst fällige Verwilderung» (Diogenes), Rolf Hermann die seinen unter «In der Nahaufnahme verwildern wir» (Der gesunde Menschenversand). Tatsächlich ist die Frage der Wildheit und der Verwilderung gerade sehr präsent in der Schweizer Literatur – im positiven Sinn, als ein angestrebter Zustand, wie auch im negativen Sinn, als Gefahr für den Fortbestand der Menschheit. Aber natürlich sind die Wildwege in der Schweizer Literatur nicht nur thematischer Art, Viceversa fragt auch nach den Wildwegen (Abwegen, Umwegen, Wildwuchs) im Text. Und was wäre wohl eine «wilde» Übersetzung?
Welches sind deine persönlichen Höhepunkte der neuen Ausgabe?
Christoph Geisers Ausruf mit Elfride Jelinek «Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr!»? Silvia Ricci Lempens Tag im Leben einer Urahnin in der prähistorischen Savanne? Tommaso Soldinis anstrengender Rückzug aus der Zivilisation im Centovalli? Marie-Hélène Lafons magische Begegnung mit zwei Rehen am Rand der Wildbahn? Douna Loups Durcheinanderwirbeln der starren Geschlechterordnung, Flurina Badels verselbständigte Satzzeichen, Matteo Ferrettis Hin und Her zwischen Prosa und Poesie, Julia Webers Verwandlungen zwischen Kätzchen und Raubtier, Alexandre Lecoultres Annäherung an einen «sehr fernen ort», Rebecca Gislers Reise in den Treibsand? Oder die manchmal verschlungenen Wege, die für Andreas Grosz, Rosie Pinhas-Delpuech und Anna Ruchat von einer Sprache zur anderen, vom Ausgangstext zu seiner Übersetzung führen? Tom Tiraboscos Zeichnungen und Yvonne Böhlers Fotoporträts der Autorinnen und Autoren? Das beglückende Gefühl eines Höhepunkts stellt sich bei mir vor allem dann ein, wenn die Texte untereinander und mit den Bildern in einen Dialog treten, einander gegenseitig befragen und beflügeln.
Wie habt ihr die Texte dieser Ausgabe ausgewählt?
Es ist jeweils ein Hin und Her zwischen Thema und Autorinnen und Autoren: Wir denken an Wunschautorinnen und -übersetzer für das nächste Buch und suchen gemeinsam nach Themen, die zu ihnen passen könnten. Umgekehrt diskutieren wir mögliche Titel und fragen uns, welche Autoren und Übersetzerinnen eine gewählte Thematik speziell ansprechen würde. Schliesslich stellen wir ein Inhaltsverzeichnis für die nächste Ausgabe zusammen und fragen die Autorinnen und Autoren an, ob sie einen Text zu einem bestimmten Thema für uns schreiben würden. Die eingeschickten Texte verändern sich häufig noch in der Diskussion mit den Redaktorinnen und mit den Übersetzern des Bandes.
Wie einfach oder schwer ist es für euch, jedes Jahr genügend spannende, originelle Texte zu finden?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir meistens eine Zusage auf unsere Anfragen erhalten und die Autorinnen und Autoren uns jedes Jahr mit ihrer je eigenen Auslegung und Umsetzung des Themas überraschen.
Ihr kondensiert «Das Literaturjahr 2021» auf 80 Neuerscheinungen. Wie trefft ihr diese Auswahl?
Wir publizieren das ganze Jahr über Rezensionen von Neuerscheinungen auf der Plattform www.viceversaliteratur.ch. Für die Auswahl der rezensierten Bücher sind vier Teilredaktionen zuständig, eine für jede Landessprache. Zahlreiche zugewandte Kritikerinnen und Kritiker schreiben Beiträge. Am Jahresende wählen die vier Redaktionen dann aus, welche der besprochenen Bücher sie im Rückblick empfehlen wollen. Es sind jeweils etwa 35 deutschsprachige, 25 französischsprachige, 15 italienischsprachige und fünf romanischsprachige Bücher.
Welche Bedeutung hat die künstlerische Illustration fürs «Jahrbuch»?
Die visuellen Beiträge haben sich im Lauf der Zeit gewandelt und sind immer wichtiger geworden. Anfangs handelte es sich um Illustrationen der Texte. Unterdessen zeigt schon das Buchcover ein Werk der ausgewählten Künstlerin oder des Künstlers. Die Bilder beziehen sich nicht mehr auf einzelne Textbeiträge, sondern die Künstler*innen sind frei, sich auf ihre Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen, wie ihre schreibenden Kolleg*innen auch. Dass sich Tom Tiraboscos Zeichnungen der menschlichen Tierwesen und der Pflanzenwildnis auf manchmal fast unheimliche Weise mit den Texten (die er nicht kannte) verbinden, ist ein besonderer Glücksfall.
«viceversa literatur» gibt es seit 2007. Was sind eure Zukunftsprojekte?
Weitermachen ... Als Jahrbuch und als Internetplattform, aber auch mit neuen Formen (geplant ist zum Beispiel ein Podcast).
«vice versa» bedeutet «umgekehrt ebenso» oder «umgekehrt». Wie spiegelt sich diese «Umkehrung» im Jahrbuch und auf www.viceversaliteratur.ch?
Wir einigten uns auf einen Namen, der sich in allen Landessprachen aussprechen lässt. Es geht im Buch wie auf der Plattform um das Hin und Her zwischen den Texten und den Sprachen, um den Dialog über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, wobei sich Ähnlichkeiten im ganz Anderen und Unterschiede im Vertrauten finden. Das Jahrbuch präsentiert einmal pro Jahr Autorinnen, Übersetzer und unveröffentlichte Texte in einem schön gestalteten Buch, während die Internet-Plattform eine laufend aktualisierte Datenbank zu Autorinnen, Übersetzern und Kritikerinnen sowie wöchentlich neue Rezensionen anbietet.
Welche Herausforderungen stellen sich euch in Bezug auf Internet und geänderte Lesegewohnheiten?
Wir stellen fest, dass das Jahrbuch in seinen drei Ausgaben, die unsere drei Verlage Rotpunktverlag, Editions Zoé und Edizioni Casagrande gestalten, Interesse weckt. Die Verkaufs- und Abonnementszahlen könnten allerdings gerne grösser sein. Die Zugriffe auf die Internetplattform wiederum sind zahlreich und steigen weiter an – wenn wir die durchschnittliche Länge eines Besuchs auf unserer Seite ansehen, reicht sie jedoch kaum für ein vertieftes Lesen der anspruchsvollen Kritiken. Dies sind wohl die typischen Herausforderungen der Buch- und der Online-Branche.
Ein Schwerpunkt des Jahrbuchs liegt traditionellerweise auf «Übersetzungen». Welchen Stellenwert hat die Übersetzung im Zeitalter immer besserer Übersetzungsalgorithmen?
Die immer besseren Übersetzungsalgorithmen betreffen (im Moment zumindest noch) vor allem die technische Übersetzung oder die Übersetzung unzweideutiger Sachtexte. Bei der literarischen Übersetzung kommt man mit Algorithmen nicht weit. Die Algorithmen basieren ja auf bereits existierenden Texten und Normen – für die ästhetischen Neuerfindungen der Literatur braucht es menschliche Übersetzerinnen und Übersetzer.
Wo man hinschaut, werden vertiefende Gefässe zur Auseinandersetzung mit Literatur gestrichen: Sei es bei SRF oder bei den Zeitungen. Ist das eine Chance oder Gefahr für «viceversa literatur»?
Viceversa leidet, wie alle literarischen Publikationen, unter dem Schwund des Feuilletons und der kulturellen Radiogefässe. Es ist aber für uns tatsächlich auch eine Chance, weil wir einspringen können, wo andere die Auseinandersetzung mit der Literatur nicht mehr leisten.
Zum Abschluss ein Blick in die Kristallkugel: Was ist das Thema im nächsten «Jahrbuch»?
Im Moment ist die Kristallkugel undurchsichtig. In einer Woche findet unsere jährliche Redaktionssitzung zur Planung des nächsten Jahrbuchs statt. Danach weiss ich mehr!
Die Tage der deutschsprachigen Literatur stehen vor der Tür.
Jetzt den eigenen Eintrag im A*dS-Lexikon anschauen und kuratieren.
Dominik Müller bespricht Felix Uhlmanns «Der letzte Stand des Irrtums» für Viceversaliteratur.ch.
Diesen Freitag ist es wieder so weit – die Solothurn Literaturtage beginnen.
Tobias Lambrecht bespricht Anna Sterns neuen Roman «blau der wind, schwarz die nacht» auf Viceversaliteratur.ch.