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Feiertag Die Schweiz am 1. August
Am 1. August 2009 hielt Peter von Matt auf dem Rütli eine bemerkenswerte Rede, die er später auch in sein Buch «Das Kalb vor der Gotthardpost» aufnahm.
Die Rede war klug, gewitzt und fintenreich, ohne dass sich die anwesenden Festgäste allzu sehr auf die Füsse getreten fühlen mussten. Einige Ungehörigkeiten wie «Zu den Wundern der Schweiz gehört, dass ihr politischer Instinkt immer zielsicherer war als ihr politischer Verstand» werden auch einfach überhört oder fröhlich überlacht worden sein.
Von Matt ging unmittelbar vom Ort des Geschehens aus, der Rütli-Wiese, und öffnete seinen Blick Richtung Europa, indem er die Aufmerksamkeit auf die im Fels donnernde Gotthard-Autobahn richtete. Für diesen rhethorischen Kniff brauchte er keine Mythen zu zertrümmern, hier fielen ihm «Mythos und Wahrheit» zusammen. Und er konnte eine Lanze brechen für die «erregenden Geschichten, die man erzählt bekommt und weitererzählt».
Mythen stehen auf wackeligen Erinnerungsfüssen
Dass Mythen eigene Geschichten haben, die oft «erregender» sind als die Mythen selber, hat sich dank Pierre Noras «Erinnerungsorten» ins allgemeine Bewusstsein geprägt. Wem fiele heute noch ein, Wilhelm Tell oder Morgarten «zertrümmern» zu wollen? Dafür stehen die Mythen selbst auf viel zu wackeligen Erinnerungsfüssen.
Doch was einmal geschichtsschreibungskritischer Impetus war, verkehrt sich zunehmend ins Gegenteil.
«Jubiläumsjahr der Superlative»
Wie wenig sich Christoph Blocher stets um Wahrheit und Mythos scherte, zeigt seine diesjährige 1. August-Tour, bei der er einmal mehr Geschichte als Gehacktes mit Hörnli servierte. Der Zürcher Blogger Christian Ledermann berichtete genüsslich darüber.
Doch auch die NZZ will es lieber weniger genau wissen als sie es weiss. Am 6. August rief die Inlandredaktion – offensichtlich inspiriert von der Marignano-Aktion von «Kunst+Politik», diese aber gezielt verschweigend – zum «Jubiläumsjahr der Superlative» auf. «Schliesslich bedarf eine staatliche Gemeinschaft einfach der Jubiläen», schrieb NZZ-Inlandredaktor Marco Amrein in seinem Kommentar, «Das Erinnern an historische Wegmarken ist eines ihrer Mittel, sich ihrer Identität zu vergewissern. (...) Schweizerinnen und Schweizer haben einzig ihre gemeinsame Geschichte.»
Im Artikel wurde bezüglich Morgarten immerhin eingeräumt: «Längst ist nicht sicher, ob die Schlacht überhaupt stattgefunden hat». Und zum Mythos der Neutralität, der in Marignano angeblich seinen Ursprung habe, vermerkte die NZZ: «Die geschichtswissenschaftliche Forschung stützt diese Deutung heute kaum mehr», um im Nebensatz anzufügen: «dennoch bleibt Marignano im kollektiven Gedächtnis tief verankert». So verweist das «kollektive Gedächtnis» die «geschichtswissenschaftliche Forschung» kurzerhand in die Schranken.
Ist das unsere gemeinsame Geschichte?
Rezeptionsgeschichte feiern?
«Das Auseinanderklaffen von Gedenken und realen Geschehnissen beklagt nur», schrieb Marco Amrein weiter, «wer übersieht, dass jedes historische Ereignis eine doppelte Geschichte hat: seine eigentliche Chronik und die Rezeptionsgeschichte, also das, was spätere Generationen aus ihm machen.»
So dient die von Peter von Matt für obsolet erklärte Dichotomie von «Mythos und Wahrheit» auf einmal als Legitimation für die Feierungswürdigkeit wackeliger Mythen. Wir feiern also nicht die Geschichte, sondern die Rezeptionsgeschichte, wir feiern, weil wir schon immer – pardon, seit gut hundert Jahren – gefeiert haben.
Zimmerwald statt Marignano
Als hätte die Rezeptionsgeschichte nicht auch ihre eigene Geschichte, die nicht unbedingt unsere gemeinsame ist. Wie diese im Fall von Marignano verläuft, hat Georg Kreis im Text «Si Marignan n’existait pas? Wenn Marignano vielleicht gar nicht stattgefunden hat?» ausgeführt. Und wenn der Historiker und frühere Nationalrat Jo Lang in seinem Beitrag fordert, «Zimmerwald statt Marignano» zu feiern, macht er nichts anderes als darauf hinzuweisen, dass Feste nicht einfach fallen. Warum fehlt Zimmerwald auf der Liste der NZZ-Superjubiläen?
Machen wir uns auf was gefasst in diesem Fest- und Wahljahr 2015. Die Mischung aus Europaphobie, Fremdenfeindlichkeit und Geschichtsklitterung wird ziemlich unappetitlich.
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